von Angelika Beck

„Kindern muss man Grenzen setzen!“ –  „Das war an der Grenze des Erträglichen!“ –  „An der Grenze festgenommen!“ –  „Damit hat er/sie eine Grenze überschritten!“ –  „Ich vertraue ihm grenzenlos…!“

Das Wort Grenze benutzen wir in vielen verschiedenen Kontexten. Wir sprechen beispielsweise von einer Ländergrenze, einer Grundstücksgrenze, einem Grenzzaun, wir kennen innere und äußere Grenzen, wir setzen Grenzen oder eben auch nicht, wir übertreten Grenzen, vielleicht ohne es zu merken, wir grenzen uns ab, wir grenzen andere ein, wir werden ausgegrenzt oder überschreiten gar rechtliche Grenzen.

 

Grenzen sorgen für Klarheit und Orientierung, aber….

 

Grenzen können sicherlich hilfreich sein und sich schützend auswirken, sie sind zwingend erforderlich für ein Leben in Gemeinschaft und machen es überhaupt erst möglich. Aber Grenzen können auch einengen, klein machen, unfrei und unter bestimmten Umständen auch als Belastung erlebt werden. Wenn wir heute mal von Grenzen im zwischenmenschlichen Leben sprechen wollen, dann hängt deren positive bzw. negative Auswirkung sicherlich zuerst einmal davon ab, ob wir diese Grenzen freiwillig oder unfreiwillig setzen/gesetzt bekommen. Jede Beziehung hat – zumeist unausgesprochene – Regeln und damit Grenzen, nach denen sie verläuft. Wenn wir einmal mit der Eltern-Kind-Beziehung beginnen, so ist diese anfangs völlig einseitig: Die Eltern machen die Regeln und setzen die Grenzen fest. Diese werden – im günstigen Falle – nach und nach erweitert, der Entwicklung des Kindes bzw. Jugendlichen angepasst und irgendwann übernimmt das erwachsene Kind dann diese Aufgabe für sich selbst.

 

An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Impuls setzen und dich einladen, einmal zurückzudenken und zurückzu“spüren“, wie deine Eltern mit Grenzen umgegangen sind, wie sie dir Grenzen beigebracht haben. Hast du ein Leben in einer „Streichholzschachtel“ geführt, also in engen Grenzen, oder hattest du so viel Raum, dass du schon gar nicht mehr wusstest, wo dieser eigentlich endet (laissez-faire-Erziehung) oder waren die Grenzen so gesteckt, dass darin Entfaltung, aber auch Orientierung in einem gesunden Gleichgewicht vorhanden waren?

 

Einen weiteren Impuls möchte ich dir geben, indem ich dich bitten möchte zu reflektieren, wie die Grenzen unter deinen Eltern gelebt, bzw. verhandelt wurden. Wer setzte wem Grenzen, wer überschritt vielleicht die des Partners, wie war die Reaktion, wenn eine Grenze überschritten wurde? Ich kann mir vorstellen, dass diese Übung erstmal gar nicht so einfach für dich ist, weil wir darüber eigentlich nicht bewusst nachdenken. Gerade wenn wir uns aber in einer schwierigen Beziehung befinden, sei es mit den Eltern, mit dem Partner oder mit dem Kind, dann spielen immer auch Grenzen eine Rolle und die damit verbundene Kränkung, wenn diese nicht eingehalten werden.

 

Um die eigenen Grenzen zu wahren bzw. zu verteidigen, muss ich sie zuerst einmal kennen!

 

Schnell sind wir dabei, eine Situation bei Anderen zu bewerten und zu verurteilen. Folgendes Beispiel: Stell dir vor, eine Freundin erzählt dir eines Tages, dass sie von ihrem Freund geschlagen wird. Bei den meisten von uns würde sich an dieser Stelle eine klare innere Haltung einstellen nach dem Motto: „Das würde ich mir nie gefallen lassen! Da wäre ich definitiv weg!“ An dieser Stelle möchte ich den dritten Impuls setzen: Bitte gehe einmal in dich und frage dich selbst – in Ruhe und absoluter Schonungslosigkeit – „Habe ich selbst schon mal meine eigenen Grenzen überschritten, um meinen Partner nicht zu verlieren? Ist es vielleicht sogar an der Tagesordnung, dass ich meine Grenzen verleugnen muss, um seine Ansprüche wahrnehmen zu können oder damit seinen Ärger zu vermeiden? Schäme ich mich innerlich dafür, dass ich praktisch keine eigenen Werte mehr leben kann, weil mich sonst die Verlustangst einholt oder mich sein Zorn ängstigt, seine Ignoranz und sein Schweigen, mit dem er mich bestraft, wenn ich nicht „funktioniere“? Bitte erstmal dieses innere Gefühl nur wahrnehmen, gar nicht bewerten oder weg machen wollen! Einfach nur mal aufspüren, was da ist!

 

Welche Probleme treten denn auf, wenn du keine Grenzen setzt?

 

Die Beantwortung dieser Frage lässt sich am Besten auf gesellschaftlicher Ebene finden. Stell dir vor, wir hätten keine Grenzen für Alkohol im Straßenverkehr, keine moralischen und ethischen Grenzen, keine Grundstücksgrenzen zum Nachbarn, …dann würde schnell ein Chaos ausbrechen und eine Gemeinschaft wäre nicht mehr zusammen lebensfähig. Das leuchtet uns sofort ein und ist uns direkt klar. Nur – was für eine große Gemeinschaft gilt, gilt selbstverständlich an dieser Stelle auch für eine kleine – also für die Familie und die Partnerschaft. Dabei hat jeder zuerst einmal seine individuellen Grenzen, dann gibt es noch Grenzen, die ein Paar nach außen hin vornimmt, und die Grenzen innerhalb der Beziehung.

 

Beispiele für Grenzüberschreitungen: Abwertung (verbal + non-verbal), übergriffiges Verhalten, verbale + körperliche Aggression, passive Aggression (Schweigen als Bestrafung), Manipulationen um der eigenen Vorteile willen, psychische und physische Gewalt, bewusstes Erstellen eines Machtverhältnisses, Kontrollieren des Partners über Angst und Bedrohung, denunzieren, üble Nachrede, bewusst falsche Gerüchte verbreiten, stalking, mobbing, einsperren, (sexuelle) Nötigung…. die Liste ließe sich beliebig verlängern…

 

Sicherlich gibt es in der Gewichtung Unterschiede bei den Grenzüberschreitungen und sicherlich überschreiten wir täglich Grenzen eines Mitmenschen, ohne uns dessen bewusst zu sein und ohne ihm damit schaden zu wollen. Tatsächlich schädlich und negativ einflussnehmend auf unser Leben sind Grenzüberschreitungen vor allem dann, wenn sie extrem sind (z. B. in Form von Gewalt) oder wenn sie dauerhaft sind. Eltern, die z. B. ihre Kinder nicht ins Erwachsenenleben entlassen haben und bei jedem Aufeinandertreffen das Kommando übernehmen, oder sich übermäßig in die Kindererziehung einmischen oder den neuen Partner schlecht machen…..Da sind die Grenzüberschreitungen im Einzelnen vielleicht nicht so massiv, aber „steter Tropfen….“ ihr wisst schon 😉 Außerdem neigen grenzüberschreitende Menschen dazu, wenn sie einmal damit erfolgreich waren, immer neue Grenzen zu überschreiten und so den eigenen Raum stetig zu erweitern und den Raum des Gegenübers immer weiter zu minimieren. An dieser Stelle gebe ich gern das Bild des eigenen Lebensgartens. Stell dir vor, dein Lebensgarten hat eine schöne Größe, er wird von dir gehegt und gepflegt, ist schön angelegt, es wachsen dort Obst und Gemüse und du hast eine wahre Freude daran. Nun kommt so ein grenzüberschreitender Mensch und donnert mit seinem PKW durch deinen Garten! Beim ersten Mal wirst du vielleicht noch sagen, naja, das hat er wahrscheinlich nicht mit Absicht gemacht oder er hat gar nicht gemerkt, dass er meinen Garten zerstört hat. So baust du den Garten wieder auf, beseitigst die Schäden und setzt alles wieder neu ein. Kaum erstrahlt dein Garten in neuer Blüte, kommt wieder dieser Grenzüberschreiter (oder vielleicht auch ein anderer…) und donnert durch deinen Garten!

 

Ich brauche an dieser Stelle nicht weiter auszuführen, was das mit einem Menschen macht, wenn sein Lebensgarten regelmäßig beschädigt oder zerstört wird. Das können wir uns alle vorstellen: Interessant ist allerdings an dieser Stelle auch, was mit dem Grenzüberschreiter passiert. Dieser denkt sich nämlich: „Warum sollte ich denn nicht einfach durch diesen Lebensgarten fahren, wenn es keine Konsequenzen für mich hat!  Für mich ist es eine Abkürzung und der Gartenbesitzer scheint ja nichts dagegen zu haben. Zumindest hat er sich noch nie bei mir darüber beschwert!“ Will heißen: Grenzen machen nur dann Sinn, wenn wir auch auf deren Einhaltung achten! Hier bitte ich dich, dem vierten und letzten Impuls einmal nachzuspüren? Wie gut achtest du auf die Einhaltung deiner Grenzen? Kennst du sie überhaupt genau oder ist das eher ein schwammiger Bereich? Häufig müssen wir innerhalb einer destruktiven Beziehung (aber auch danach) wieder neu lernen, wo unsere Grenzen verlaufen und wie wir sie wieder eindeutig vertreten und verteidigen können.

 

Es gäbe noch viel zu sagen zum Thema Grenzen, noch viele Impulsfragen zu stellen. Aber wir wollen es für heute an dieser Stelle gut sein lassen. Auch ein Artikel muss ja eine Grenze haben 🙂

 

 

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