Narzissmus ist in aller Munde, und doch kennt kaum jemand die korrekte psychopathologische Bedeutung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Was jeder Betroffene kennt, aus eigener Erfahrung zumeist, sind die Schmerzen, die Narzissten bei ihnen auslösen.
Maria lernte Torsten in einem online-Portal kennen. Rasch entwickelte sich ein flottes Gespräch, beide waren sich sympathisch und es kam schon nach 6 Tagen zu einem ersten Treffen. Bei beiden hatte es direkt gefunkt und alles schien perfekt zu passen. Sie hatten den gleichen Humor, dieselben Interessen, Torsten war einfühlsam, hörte zu und war sehr romantisch. Jeden Morgen schickte er Maria eine WhatsApp-Nachricht mit „Ich wünsche dir einen schönen Tag“ und abends „Schlaf schön und träum was Süßes!“. Maria war im siebten Himmel. So einen Mann hatte sie noch nie getroffen.
Rasch begleiteten sich die beiden durch den Tag, schrieben sich viele Nachrichten, telefonierten und trafen sich regelmäßig. Es war das perfekte Match. Auch die Familie und Freunde waren von Torsten begeistert. Er machte einen so guten Eindruck auf sie, dass sie Maria nur zu diesem „Fang“ beglückwünschen konnten.
Es dauerte nicht lange, da sprach Torsten schon vom Zusammenziehen und Familie gründen. Als könne er Gedanken lesen und kenne alle Träume von Maria, denen sie schon so lange nachhing. Er war wirklich der Mann, auf den sie immer gewartet hatte und sie wäre am liebsten völlig mit ihm verschmolzen. Nichts sollte sie mehr trennen und in diese übergroße Harmonie hinein platze dann urplötzlich ein erster Streit.

Maria hatte ihn nicht kommen sehen. Es war eine völlig entspannte und im Grunde belanglose Situation. Sie standen beide in der Küche und kochten, als Torsten ausrastete. Er war genervt, wie sie die Tomaten schnitt, dass die Spaghetti zu weich waren und überhaupt würde sie immer alles bestimmen wollen, selbst das Essen. Maria fiel aus allen Wolken und versuchte natürlich, Torsten zu beruhigen. Sie fragte nach, was denn los sei und was sie falsch gemach hätte. Aber Torsten war sauer und verließ die inzwischen gemeinsame Wohnung.
Maria verstand die Welt nicht mehr. Sie saß völlig geschockt in ihrer Küche und rief ihre beste Freundin an. „Wie haben gestritten“, erzählte sie ihr, „Torsten ist völlig ohne Grund ausgerastet und hat die Wohnung verlassen. Ich verstehe überhaupt nicht, was los ist. Ich habe ihm wirklich nichts getan und mich so verhalten wie immer! Was soll ich denn jetzt tun?“
Die Freundin riet Maria, Torsten einfach anzurufen und nochmal mit ihm in aller Ruhe zu sprechen. Wahrscheinlich hatte er Stress bei der Arbeit gehabt und war einfach mal schlecht drauf. Sie solle sich nicht so viele Gedanken machen, das würde sich bestimmt rasch aufklären. Maria befolgte den Rat der Freundin und rief bei Torsten an. ABER – dieser ging nicht ans Telefon. Er nahm nicht ab und beantwortete auch keine ihrer Nachrichten. Er war vollkommen in der Versenkung verschwunden. Unerreichbar. Das zog Maria den Boden unter den Füßen weg. Aus dem anfänglichen Traum war binnen kürzester Zeit ein Albtraum geworden. Ihr Torsten, der von Anfang an praktisch Tag und Nacht an ihrer Seite war, dieser Mensch, den sie glaubte, durch und durch zu kennen, war verschwunden und für sie unerreichbar.
Soweit die Geschichte von Maria und Torsten.
Wir wissen alle, wie sie weitergeht. Torsten taucht wieder auf, bittet um Verzeihung, Maria lässt sich wieder auf ihn ein und das Spiel beginnt von vorne. Immer wieder sucht oder provoziert Torsten Streitsituationen, in denen er dann entflieht und für Tage in der Versenkung verschwindet. Wenn er wieder auftaucht oder sich nach Tagen erweichen lässt, wieder mit Maria zu sprechen, fühlt sich dies für Maria so an, als hätte er sie aus einer Folter befreit. Doch Maria schwebt nun nicht mehr im siebten Himmel, sondern sie pendelt unaufhörlich zwischen Himmel und Hölle. Wöchentlich, täglich, stündlich.
Immer enger wird der Zeitraum zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Auch die Höhenflüge gehen nur noch in den 5. Stock und später nur noch in den 2. Irgendwann ist ein guter Tag ein Tag, an dem sie nicht abgewertet, angeschrien oder gequält wird. Sie hofft und wartet also gar nicht mehr wirklich auf schöne Zeiten, sondern ist bereits erleichtert, wenn es keine Bestrafung und kein Chaos gibt. Im Extremfall ist dann ein Tag ohne Schläge ein guter Tag.
Die Phasen der Erleichterung werden immer kürzer, weil Maria verstanden hat, dass auf jede noch so kleine Entspannung, sofort wieder Stress und Schmerz folgt. Irgendwann steht sie so dauerhaft unter Strom, dass sie nur noch schlecht schlafen kann, häufig Kopfschmerzen hat, immer trauriger wird und sich auch immer mehr zurück zieht. Sie schämt sich und hat tausend Fragen. Was hat sie falsch gemacht? Hatte Torsten vielleicht recht mit seinen Vorwürfen, dass sie zu dick, zu schlampig, zu doof, zu faul, zu launisch, zu empfindlich, zu nervig war?
Und obwohl sie sich doch so sehr anstrengte, alles, wirklich alles richtig zu machen und nur noch auf seine Wünsche und sein Wohl zu achten, war sie offensichtlich doch nicht gut genug für ihn. Denn er beschwerte sich nach wie vor und sie hatte ihn auch im Verdacht, dass er mit anderen Frauen online chattete und sich womöglich sogar traf. Immer häufiger wusste sie nicht, wo er war und sie durfte auch nicht nachfragen, denn dann wurde er fuchsteufelswild. „Ob sie ihm misstraue, was sie eigentlich von ihm halte“ und zack, war er wieder verschwunden.
So sehr sie sich auch bemühte und so sehr sie all ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse und sogar ihre ganzen Schmerzen und Enttäuschungen zurückstellte, sie konnte beim besten Willen keine harmonische Beziehung mehr mit ihm hinkriegen. Immer machte sie irgendetwas falsch, was seinen Zorn erweckte oder seine Verachtung.
Mit den Nerven und der Kraft am Ende, dachte Maria nun immer häufiger über Trennung nach.
Sie konnte nicht mehr, war nur noch unkonzentriert bei der Arbeit und hatte schon jegliche Lebensfreude verloren. Andererseits hatte sie die Befürchtung, dass sie den Ausstieg gar nicht schaffen würde. Irgendwie war es mit Torsten anders als mit früheren Partnern. Da konnte sie sich durchaus trennen, wenn es nicht mehr stimmte. Sie fühlt sich alleine, verlassen, betrogen, getäuscht und verwirrt. Was hatte sie übersehen, was war schief gelaufen? Wie konnte aus dieser Traumbeziehung ein solcher Horror werden? Und was sollte sie denn jetzt tun? Sie hatten doch beide so große Pläne für die Zukunft gehabt und sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie ohne all diese Hoffnungen weiterleben sollte. Sie hatte doch so viel geopfert und ertragen, sollte das alles umsonst gewesen sein?
Du ahnst, wie es weitergeht. Torsten tauchte urplötzlich wieder auf. Alles tat ihm leid, er würde sich bessern und das Ganze ging genau 3 Tage gut. Danach fing der narzisstische Kreislauf wieder von vorne an und Maria fühlte sich wie im Schleudergang bei 1600 Umdrehungen in einer Waschmaschine. Sie hatte keine Pausen mehr vom seelischen Stress und konnte sich kaum mehr vom Leid erholen, da kam schon die nächste Katastrophe. Sie baute immer mehr ab, wurde immer dünner, verlor den Kontakt zu Familie und Freunden und wurde am Ende sogar regelrecht depressiv. Sie konnte und wollte auch gar nicht mehr in die Arbeit gehen, keine Kollegen sehen und auch ihre Hobbys interessierten sie nicht mehr. Sie verlor mehr und mehr den Boden unter den Füßen und war den täglichen Seelenschmerzen nicht mehr gewachsen. Sie resignierte und gab auf. Sie konnte sich nicht mehr gegen die Attacken von Torsten wehren und sie hatte keine Kraft mehr für gar nichts. Nicht für den Kampf um die Beziehung und nicht für den Ausstieg in ein neues Leben.
Sie war gefangen, eingeschnürt in ein toxisches Korsett aus Angst, Selbstzweifeln, Hoffnungslosigkeit und Schmerz. „Wenn jetzt kein Wunder geschieht“, dachte sich Maria, „dann weiß ich nicht, wie mein Leben überhaupt noch weitergehen soll.“
Wer hätte das am Anfang gedacht? Wer hätte sich vorstellen können, dass diese wunderbare Beziehung eine solche Dynamik und einen solchen Verlauf nehmen würde? Wer hätte vorhersehen können, dass Torsten in Wahrheit ein ganz anderer war als der, der sich anfänglich so perfekt präsentierte?
Die Antwort lautet: Jeder, der schon einmal in einem toxischen Kreislauf gefangen war, kennt die Verläufe. Jeder, der schon einmal in einer narzisstischen Beziehung war, weiß um die Aussichtslosigkeit, mit einem solchen Menschen eine beständige und harmonische Beziehung führen zu wollen. Jeder, der das einmal erlebt hat, weiß, wie und wo es endet. Und dass es aussichtslos ist. Wie sehr man sich anpasst, bemüht, zurücknimmt und leidet. Am Ende kommt immer der Zusammenbruch und zwar auf der Paareben und auf der persönlichen. Allerdings nur beim Opfer! Der Narzisst zieht fröhlich weiter in die nächste Beziehung. Er geht einfach auf Neustart, geht nicht über Los und hakt das Ganze innerhalb von Stunden ab. Als hätte es uns nie gegeben, als hätte nichts von alldem stattgefunden. Er bleibt uns so unfassbar vieles schuldig, der Narzisst, aber er ist nicht gewillt, irgendetwas davon einzulösen. Wir haben so unendlich draufgezahlt in dieser Beziehung, aber wir bekommen keine Rückerstattung. Im Gegenteil, wenn wir uns nicht ganz kleinlaut zurückziehen, nachdem der Narzisst genug von uns hat, dann tritt er sogar noch nach. Als wäre er im Recht, als wäre er das Opfer, als wären wir ihm etwas schuldig.
Die Ungerechtigkeit ist unheimlich schwer auszuhalten, denn den Menschen vom Anfang gibt es nicht mehr. Wir können ihn nicht mehr erreichen, tatsächlich hat er nie existiert. Er war Fake, eine Maske, eine Mogelpackung und der wahre Torsten ist längst weitergezogen. Zu einer Neuen, der er nun Schauergeschichten über uns erzählt und sich erneut als Opfer präsentiert. Wie gemein wir waren, wie hinterhältig, wie unsensibel und fordernd. Die Neue genießt nun eine fantastische Zeit mit Torsten, denken wir. Sie ist im 7. Himmel mit ihm, denken wir. Und wahrscheinlich stimmt es auch – für 3 bis 4 Monate. Aber denke immer daran: Ihre Hölle kommt noch früh genug, denn ein Narzisst wird immer wieder dieselben Tänze aufführen, immer wieder mit wechselnden PartnerInnen und beneide diese Neue nicht, denn sie wird dich schon bald in deiner Hölle besuchen kommen.

Außer, ja außer du bist bereit, diese Hölle zu verlassen und dem Narzissten nicht den Sieg über dein Wohl und Weh zu ermöglichen. Lass ihn am Ende nicht gewinnen. Er ist Opfer seiner Selbst und er wird ein Leben lang diese toxischen Tänze aufführen müssen. Du aber kannst aus dieser Erfahrung lernen und daran wachsen. Es ist ein Prozess, zugegeben, aber wenn der gelingt, dann bist du dir selbst hinterher näher sein als du jemals zuvor warst.
Der Ausstieg lohnt zu jeder Zeit und die Aufarbeitung erst recht. Lass nicht zu, dass diese Erfahrung dich desillusioniert, dich dauerhaft prägt oder gar verbittert. Lass nicht zu, dass du nun keine Hoffnung mehr hast auf eine glückliche Partnerschaft und vereinsamst. Damit würdest du dem Narzissten die Macht über dich geben, selbst noch im Nachhinein. Nimm Hilfe an für den Ausstieg, wenn du brauchst und magst und wehre dich. Bleib nicht alleine damit und umgebe dich mit anderen Betroffenen, die sich ebenfalls zur Wehr setzen. Dieser Mensch darf nicht gewinnen! Darf auf keinen Fall gewinnen Denn deine Zukunft gehört dir und du bestimmt, was du daraus machst.
Herzliche Grüße