Während und nach einer narzisstischen Beziehung sind wir extrem weit von uns selbst entfernt. Fordert ein solcher Partner doch enorm viel Aufmerksamkeit und wir sind ständig damit beschäftigt, mit ausgefahrenen Antennen durch die Welt zu laufen, bzw. durch die Beziehung, um keine Fehler zu machen, die wieder gehörige Strafen nach sich ziehen könnten. Peu à peu verbiegen wir uns immer mehr, um die maximale Anpassung an seine Wünsche zu erreichen. Natürlich kann uns das nicht gelingen, weil es ihm, dem Partner oder der Partnerin gar nicht darum geht. Vielmehr muss ein Narzisst von Zeit zu Zeit Dampf ablassen, seine innere Wut loswerden und seine narzisstische Kränkung mit dem dazugehörigen Frust abbauen.
Verlangt der narzisstische Partner z. B. ein bestimmtes Verhalten von uns, und legen wir dieses dann an den Tag, so wird er mit der nächsten Forderung um die Ecke kommen. Es geht ihm gar nicht um den Inhalt der Forderung, sondern darum, einen Mülleimer bzw. Sündenbock zu haben. Wir sind sein Ventil, wir stellen uns zur Verfügung für seine negativen Emotionen, seine inneren Kriege und Spannungszustände. Hat er/sie alles soweit entladen, kann es für eine gewisse Zeit wieder einigermaßen normal weitergehen.
Wann diese Entladungen erfolgen, ist nur zu einem gewissen Grad vorhersehbar. Auf der Hut sein müssen wir jedenfalls immer. Tag und Nacht, Woche für Woche und Jahr für Jahr. So kommen wir – nach dem anfänglichen love-bombing – nie wieder in einen wirklichen Entspannungszustand. Wir müssen immer mit dem Schlimmsten rechnen und auf alles vorbereitet sein. Als ich selbst damals in einer narzisstischen Beziehung war, fuhr ich gegen Ende immer selbst mit dem Auto, wenn wir irgendwo eingeladen waren, weil ich nicht sicher sein konnte, ob es nicht während des Abends zur Trennung kommen würde. Was für ein Elendszustand. Man hängt sozusagen jahrelang im Endstadium fest.
Als empathische Menschen, die wir zumeist die Anpassung schon aus der Kindheit kennen, sind wir natürlich als Gegenstück zum Narzissten gut geeignet. Wir können uns flexibel auf die Bedürfnisse anderer einstellen und spüren diese oft schon im Vorfeld. Als Kind hat uns das viel Ärger erspart, weil wir uns rechtzeitig in Luft auflösen konnten, heute jedoch ist dieser Mechanismus kontraproduktiv und zerstörerisch. Wir verraten uns selbst, wir betrügen uns selbst und wir verleugnen uns selbst. Dies kommt uns irgendwann teuer zu stehen. Spätestens wenn der Narzisst endgültig weg ist, bemerken wir, wie sehr wir aus dem Lot geraten sind. Viele Freunde sind auf der Strecke verloren gegangen, viele Hobbys haben wir aufgegeben und von unserer Energie und Freude brauchen wir erst gar nicht zu sprechen. Als Schatten unserer Selbst bleiben wir zurück. Ein Häufchen Elend, als Hülle nach einem seelischen (und häufig auch körperlichen) Crash.
In Einzelteile zerlegt können wir nun schauen, wie wir uns wieder zusammensetzen. Ein Prozess, der durchaus Zeit in Anspruch nimmt und häufig ist es gar nicht so einfach, den Anfang dafür zu finden. Wir brauchen vielleicht Hilfe und Begleitung, vielleicht den Austausch mit Gleichgesinnten, weil andere in unserem Umfeld unser Leiden gar nicht verstehen können. Wir müssen verarbeiten was war und wir müssen am Ende auch uns selbst vergeben. Dass wir uns verraten und verleugnet haben, dass wir uns für ein solch ausbeuterisches Verhalten über so lange Zeit zur Verfügung gestellt haben. Wenn wir in diesen Prozess einsteigen, dann können wir über kurz oder lang wieder anfangen zu wachsen. Und wir können diese Chance nutzen, um unseren Selbstwert von Grund auf zu bedenken. Werde ich ihn bei der nächsten Beziehung wieder so rasch aufgeben oder kann ich dann mehr bei mir bleiben? Verkaufe ich mich wieder unter Wert oder bin ich mir selbst wertvoll genug?
Wenn wir nicht mit einem gesunden Selbstwert aufwachsen duften, dann können wir auch nicht darüber verfügen. Wenn wir darüber verfügt haben, der Narzisst uns diesen aber genommen hat, dann können wir ihn wieder erlangen und sogar noch steigern.
Selbstwert entsteht durch Selbstwirksamkeit! Wenn wir also Einfluss auf unser Leben haben, wenn wir es gestalten und mitbestimmen, dann fühlen wir uns wohl. Wenn jedoch unser Handeln, unser Fühlen und Denken ohne Wirkung bleibt, dann gehen wir in die Hilflosigkeit und fühlen uns ausgeliefert. Es geht nun darum, die alte Stärke wieder zu finden oder die Selbstliebe überhaupt einmal für uns zu entdecken. Es ist eine durchaus spannende Reise und lohnenswert ist sie allemal. Nicht andere geben uns unseren Wert – denn dann hieße es ja „Fremdwert“, sondern wir selbst bestimmen darüber: SELBSTWERT! Wenn du jetzt sagst, da wäre noch Luft nach oben, dann lass uns aus der Luft in die Lust gehen und gemeinsam das in dir entdecken, was dein Selbst ausmacht! Wir sind nie so stark, wie wenn wir in unserer Mitte sind!