Trigger und schmerzhafte Erinnerungen halten uns gefangen, übernehmen die Führung, wenn sie spontan auftauchen, versetzen uns in Ohnmacht, Angst, Wut und Kleinheit.
Wir fühlen uns ungeliebt, nicht gesehen, nicht anerkannt, nicht wertgeschätzt, unwichtig und nicht dazugehörig. Wir müssen erst etwas leisten, etwas tun, irgendwie anders sein, uns anpassen, unterordnen, zurücknehmen, um etwas Liebe zu erhalten, um doch dazuzugehören, um ein bisschen in unserem Selbstwert wachsen zu dürfen.
Wir sind also nicht ok, so wie wir sind, sondern….wir müssen dafür etwas tun,. Nur dann erfüllen wir die Erwartungen anderer, und können etwas Bindung und Zuneigung erhalten. Diesen Mechanismus verinnerlichen wir sehr schnell als Kind und doch bedeutet es auch, dass wir mit unseren Antennen vollständig im Außen sein müssen. Ständig müssen wir uns fragen: „Was wird von mir erwartet, wie muss ich sein, was muss ich ändern, damit ich Liebe und Bindung erhalten?“
Häufig haben Familiensysteme gewisse Regeln, Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um anerkannt und zugehörig zu sein. Wer anders ist, wird ausgeschlossen, ist das schwarze Schaf. Und leider haben ganz viele Familien das eine schwarze Schaf. Es ist die Person, die sensibler ist, empfindsamer, häufig die Person aus dem System, die unangenehme Fragen stellt, die sich mit dem Inneren und nicht nur dem Schein nach Außen beschäftigt. Das bringt die anderen Familienmitglieder in Bedrängnis, in Not. Sie wollen nicht hinschauen, sie wollen den Teppich nicht anheben, den Mantel des Schweigens nicht lüpfen, sie wollen über den Unrat hinweg steigen und den Müll nicht sortieren.
Nun – das ist ihr gutes Recht! Niemand kann gezwungen werden, in seinem Leben oder in seiner Generation aufzuräumen. Ebenso wie wir zu nichts gezwungen werden wollen, können wir das auch nicht bei Anderen tun. Der Punkt ist dann lediglich, dass wir ganz unterschiedliche Lebensformen und auch Lebensziele haben. Wir wollen das Leben gestalten und die restlichen Familienmitglieder wollen das Leben verwalten.

Vielleicht denken wir nun, dass wir doch die anderen motivieren und auffordern müssten, hinzuschauen, aber dieses Recht haben wir nicht. Wir können lediglich selbst aus den alten Schuhen heraustreten und neue Wege gehen.
Jede Familie hat alte Schuhe, alte Prägungen, Glaubenssätze und Werte, nach denen sie lebt. Diese sind meist schon in den Generationen davor entstanden und ihre Gültigkeit darf durchaus in Frage gestellt werden. Nach dem Krieg musste man Wiederaufbauarbeit leisten. Doch ist das heute noch notwendig? Früher hatte die Kirche Vorgaben für das Leben gemacht, moralische, ethische und auch soziale. Wer sich nicht danach richtete, dem wurde Angst eingejagt mit Hölle, Teufel und Verdammnis.
Das ist heute nicht mehr unser Glaube und unsere Vorstellung von der Welt und gegebenenfalls von einem Gott. Wir sind selbst für unseren Lebensweg verantwortlich und das stellt uns vor völlig neue Herausforderungen. Früher konnte man die Macht an die Götter abgeben. Waren sie uns wohl gesonnen, lief unser Leben gut, waren sie es nicht, naja, dann lief es eben schlecht. Man konnte nicht viel tun, außer sich nach den Vorgaben zu richten, um die Götter milde zu stimmen.
Heute müssen wir uns der Verantwortung selbst stellen und dafür gerade stehen. Das bedeutet, wir müssen oder auch wir dürfen all unsere Prägungen, Glaubenssätze und auch Werte auf den Prüfstand stellen und sie aussortieren oder auch behalten. Ist „Treue“ ein Wert, den ich in meinen Beziehungen haben will, so werde ich ihn behalten. Ist „Ehrlichkeit“ etwas, was mir wichtig ist, dann ebenfalls. Ist allerdings „unbedingter Gehorsam“ keine sinnvolle Vorgabe, so werde ich diese aussortieren und nur „gehorchen“, wenn es mit meinen Vorstellungen übereinstimmt.
Wann bin ich liebenswert? Auch dafür gab es früher Vorgaben. Wenn du fleißig bist, wenn du dich aufopferst, wenn du bescheiden bist und fromm, ja tatsächlich war das in unserer Vorgängergeneration noch wichtig. Unterschwellig vielleicht, aber gerade deshalb umso gefährlicher.
Glaubenssätze und Prägungen treiben uns so lange unbewusst durch unser Leben und vor allem durch unsere Beziehungen, bis wir sie aufdecken. An die Oberfläche holen und aktiv ein- oder aussortieren.
Nach welchen Kriterien wir unsere Partner auswählen ist keineswegs Zufall. Es korreliert direkt mit unseren eigenen Erfahrungen und mit unserem Denken über uns selbst und über die Welt. Es ist auch kein Zufall, wenn wir immer wieder unselbständige Partner anziehen, weil wir dann z. B. die Rolle des Retters übernehmen können. Diese haben wir vielleicht schon in unserer Ursprungsfamilie innegehabt und / oder bei unserer Mutter gesehen.
Ein Beispiel könnte sein: Unser Vater ist alkoholkrank, wir versuchen, dies als Familiengeheimnis zu wahren und nicht nach Außen dringen zu lassen. Die Mutter entschuldigt den Vater mit Magenschmerzen bei der Arbeit, wir lernen schon früh, die Wahrheit zu verschleiern, um keine Nachteile zu erleiden. Und wir lernen, dass ein Mensch in der Familie alle anderen „nach seiner Pfeife tanzen lässt“. Die Mutter hat uns also keinen konstruktiven Umgang mit Problemen gelehrt, sondern sie hat uns gezeigt wie man sich versteckt, lügt und damit die Alkoholkrankheit des Vaters indirekt unterstützt.
Oder wir hatten einen jähzornigen Vater, der die Familie tyrannisierte. Rasch haben wir dann gelernt, dass wir uns am besten in Luft auflösen, im Zimmer verschwinden, um keinen zusätzlichen Ärger zu bereiten. Die Mutter hatte den Vater beschwichtigt, um seine Ausbrüche abzumildern und uns Kinder zu Ruhe und Schweigsamkeit aufgefordert. Wir mussten Rücksicht nehmen, duften keinesfalls Forderungen stellen, ansonsten waren wir eine Belastung.
Also, alles, was einem Kind naturgemäß zustehen würde, nämlich Aufmerksamkeit, Interesse, Fürsorge, Zeit…..wurde versagt. Wir haben dieses Schema verinnerlicht und wenn später ein Partner kommt, der uns genau dies anbietet, also Zeit, Aufmerksamkeit, Interesse und sogar noch Lob und Anerkennung, dann müssen wir diese Verbindung eingehen, so ausgehungert sind wir nach diesen Grundbedürfnissen.
So, wir stellen also fest, die alten Schuhe können wir weitertragen, wenn wir die alte Lebensweise beibehalten möchten. Ist dies allerdings nicht der Fall und fangen wir an, uns konkret damit zu beschäftigen, dann werden wir feststellen, dass uns diese alten Schuhe noch nie gepasst und noch nie gefallen haben. Wir hatten nur kein anderes Paar zur Verfügung und sind deshalb in ihnen stecken bzw. stehen geblieben. Heute haben wir die Auswahl.
Heute können wir ganz alleine festlegen, in welchen Schuhen wir durchs Leben gehen wollen. Vielleicht wollen wir auch ganz viele Paare, weil wir ganz viele Seiten und Facetten leben möchten. Das hat häufig zur Folge, dass sich auch unser Platz im Familiensystem ändert. Und das kann durchaus schmerzhaft und auch beängstigend sein. Dazugehören ist ein fundamentales Grundbedürfnis von uns Menschen. Die Frage lautet nur: Wollen wir zwingend zu diesem Familiensystem dazugehören oder gäbe es andere, passendere Menschen, zu denen wir gehören könnten und möchten?
Diese zu finden ist ein Prozess und eine Wanderschaft. Vielleicht magst du dich auf diese Reise begeben und vielleicht magst du dich auch mit dem vorübergehenden Schmerz auseinandersetzen, um in wahrer Freiheit und in den wirklich selbstgewählten Schuhen durch dein Leben zu gehen. Ich würde es dir wünschen, denn tatsächlich ist es wie eine zweite Geburt.
Wenn du reif bist für dieses Wachstum, wenn du immer wieder feststellst, dass du anders bist, dass du in deinem jetzigen Leben (noch) nicht am richtigen Fleck bist, in der Familie, im Job, in Bezug auf den Wohnort oder whatever, dann tappe nicht in die Retter- oder Opferfalle, sondern beschäftige dich aktiv und erwachsen mit der Suche, die dich dahin bringt, wo du sein kannst wie du bist, wo du erblühen, wachsen und atmen kannst, wo du sein kannst, wie du bist.
Raus aus den alten Schuhen gelingt uns erst, wenn wir die neuen Schuhe gefunden haben. Diesen Prozess kannst du gerne mit uns machen oder auch ganz alleine. Wichtig ist, dass du ihn machst und vielleicht auch, dass du nicht unnötig viel Zeit und Energie verschwendest, denn das Leben fängt erst im zweiten Paar Schuhe wirklich an!
Eine Pflanze braucht für ihr Wachstum, Sonne, Wasser, Dünger,…..sie muss also im richtigen Klima stehen. Fehlt nur eine dieser 3 Komponenten, wird die Pflanze nicht gedeihen. Es nützt die ganze Sonne nichts, wenn nicht genügend Wasser da ist. Und so richtet sich also das gesamte Wachstum nach der schwächsten Komponente.
Wenn deine Familie dich mit Negativem überschwemmt, wenn dein Partner dich mit Vorwürfen überflutet, dann nützt die ganze Sonne nichts. Du wirst dann trotzdem ertrinken und eingehen. Schau einfach mal in deinem Leben nach der schwächsten Komponente bzw. danach, ob dein Klima förderlich für dich ist und du darin optimal aufblühen kannst.
Mit den besten Wünschen dafür