von Angelika Beck

Oder: Bindungssystem geht vor Verteidigungssystem! Was heißt das?

Wir alle landen früher oder später in der narzisstischen Beziehung an dem Punkt, an dem wir absolut und zu 100% wissen, dass nur die Trennung uns retten kann. Wir haben schon so vieles und so lange ausgehalten, dass wir uns kaum noch der Illusion hingeben können, dies alles würde zu einem guten Ende kommen, zu einer gesunden und glücklichen Beziehung werden, sich zu dem entwickeln, wonach es anfangs den Anschein hatte. Nicht nur unser Umfeld weist uns immer wieder darauf hin, dass es so nicht weitergehen kann, nein, wir selbst wissen es ebenfalls ganz genau und sagen es uns Tag für Tag, Woche für Woche: „Ich muss da raus, sonst gehe ich vor die Hunde! Es ist die Hölle!“

Wir leiden, dulden und ertragen unsägliche Schmerzen, wir liefern uns immer wieder der psychischen und/oder physischen Gewalt des Partners aus, wir schämen uns, weil wir vielleicht sogar unsere Kinder diesem feindlichen Klima aussetzen und doch….und doch…kriegen wir die Kurve nicht. Tausendmal schon in Gedanken den Entschluss gefasst, überlegt, wie und wo man konkret hingehen kann nach der Trennung, wie man es einfädelt, wer helfen kann…und im letzten Moment wird doch alles wieder rückgängig gemacht. „Es fühlt sich fast an wie sterben“ – so sagen mir viele meiner Klientinnen, wenn es um die Trennung geht. Und diese Formulierung ist keineswegs übertrieben! Wollen wir also verstehen, warum wir einen Täter nicht verlassen können, warum wir eine gewalttätige und schädigende Beziehung nicht aufgeben, dann müssen wir uns unweigerlich unserer eigenen Biografie zuwenden.

Beziehung hat immer mit Bindung zu tun und welches Bindungssystem in uns angelegt wurde, das erkennen wir, wenn wir zu unserer allererstenBindungsperson zurückgehen, nämlich zur Mutter. Zumindest in den meisten Fällen, dürfte es die Mutter gewesen sein. Falls es bei dir der Vater war, oder die Oma oder eine Heimschwester, dann geh zurück zu dieser BindungsBeziehungs-Person!

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir wollen hier nicht mit dem Zeigefinger auf Menschen losgehen, die vermutlich ihr Bestes gegeben und dennoch großen Schaden angerichtet haben, sondern wir wollen aufspüren und feststellen, was stattgefunden hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Also – unsere erste Bindungsperson war die Frau, in deren Bauch wir herangewachsen sind. War die Mutter, die uns als Säugling und Baby betreut hat. Interessant ist also an dieser Stelle zu schauen: Wie ging es meiner Mutter, als sie mit mir schwanger war und als ich auf die Welt kam. Als hilflose und soziale Wesen MÜSSEN wir uns ZWINGEND an jemanden binden, ganz egal, wie gut oder schlecht das Bindungsangebot dieser Person auch sein mag. Nehmen wir einmal an, die Mutter war noch sehr jung, oder sie hat die Schwangerschaft nicht gewollt, oder sie fühlte sich von unserem Vater im Stich gelassen, oder sie war traurig, depressiv, gestresst, überfordert, unzugänglich, mit sich selbst beschäftigt, unausgeglichen, ängstlich oder gar traumatisiert…..dann konnte sie unsere Bedürfnisse nicht angemessen befriedigen.

Vielleicht hat sie uns grob zurückgewiesen, oder sie ging nicht gut in Kontakt mit uns. Vielleicht hat sie uns ignoriert, bestraft oder einfach aus Überforderung links liegen gelassen. Vielleicht war sie selbst in einer toxischen Beziehung und musste es dem Vater recht machen, Eskalationen vermeiden, ihre eigene Mutter abwehren und, und, und. Vor diesen Hintergründen und aufgrund solcher Belastungssituationen ist es leicht verständlich, dass die Mutter keinen Blick und keinen Nerv für uns haben konnte. So haben wir also erlebt, dass man in Beziehung alleine bleibt, unversorgt, dass Bindung unzuverlässig ist, dass man sich anpassen muss,

z. B. durch „ich nehme mich zurück“, „ich bin nicht wichtig“, „ich muss warten, bis ich dran komme“, „ich bin immer nur die zweite Geige“, „meine Bedürfnisse sorgen für Stress und Ärger“…..

Wir sind also – wie wir Fachleute sagen würden „unsicher gebunden“. Unsere primäre Bindungsperson konnte uns weder Geborgenheit noch Schutz, weder Sicherheit noch das Gefühl, willkommen zu sein, vermitteln. Wir haben eher ein Duldungsdasein, denn ein Leben als Wunschkind, das mit Freude und Liebe empfangen wird.

Da wir Bindung zwingend brauchen, müssen wir das Bindungsangebot der Mutter akzeptieren, und sei es noch so bescheiden und defizitär. Genauso verhält es sich heute mit dem Narzissten. Auch da akzeptieren wir, was stattfindet und alle Alternativen erscheinen uns überhaupt nicht erreichbar. Ein Mann, der mich mit Liebe überschüttet, der ist mir langweilig, höre ich oft von Kursteilnehmern. Warum ist das so und muss uns das wundern, wenn wir nochmal auf unser primäres Bindungsmuster schauen? Natürlich nicht, wir haben es nicht kennen gelernt, es ist uns fremd, unser Nervensystem erkennt dies gar nicht als Liebesangebot.

Ergo – Bindung ist überlebenswichtig und der Modus, der wichtig wäre, um uns aus einer toxischen Beziehung zu befreien, wäre der

Verteidigungsmodus! Dieser springt, wenn überhaupt, aber nur immer mal kurzfristig an.Denn:  Bindung kommt immer vor Verteidigung! Das bedeutet – unser Dilemma besteht aus „Ich muss beim narzisstischen Partner bleiben“ (Bindung), weil ich eine Trennung nicht überlebe UND „Ich muss mich wehren und trennen, weil ich ansonsten untergehe“ (Verteidigung). Wenn nun Bindung vor Verteidigung kommt, dann wird schnell klar, dass wir zwischen diesen zwei Polen schwanken und die Bindung immer wieder gewinnt! Oder anders ausgedrückt:

Im Trauma werden Bindungs- und Verteidigungssystem gleichzeitig aktiviert, das bedeutet, dass ich den Täter gleichzeitig als Retter wahrnehme. So komme ich in ein schweres Dilemma, aus dem es allein kaum einen Ausweg gibt. Die unsensible Mutter war die einzige Person in der Kindheit, die das Überleben sichern konnte, so habe ich ein Schema in mir abgebildet, dass ich loyal zum Täter sein muss, um nicht unterzugehen. Dieses Schema läuft auch heute noch ab, wenn mein Partner nach einer fulminanten Anfangsphase zum Täter wird. Damit sitze ich in der Falle. Mein Programm lautet: Täter = Retter! Wenn ich mich gegen ihn stelle, gehe ich unter und kann nicht gerettet werden. Dabei verzeitlicht unser Gehirn leider bei Trauma nicht, das bedeutet, ich bin mir selbst nicht im Klaren darüber, bzw. kann es nicht empfinden, dass heute keine Gefahr mehr besteht, wenn ich mich gegen den Täter stelle. Dass ich heute keine 3 Jahre alt bin und eine Trennung bewältigen und damit überleben kann.

Manches Mal gibt es auch eine Täterloyalität, wenn die Mutter z. B. sehr krank war oder schwach. Depressiv und traurig. Dann haben wir vielleicht als Kind die Verantwortung schon früh übernommen und uns so die Bindung gesichert. Auch dieses Muster kann heute wieder auftreten. Wir suchen uns unbewusst einen schwachen Partner, bei dem wir unser System wieder ausleben können. Und wenn er uns noch so peinigt, wir werden wieder mit „mehr desselben“, also mit mehr Verantwortungsübernahme reagieren, auch wenn uns dies auf einer anderen Ebene total ankotzt.

Nun – gibt es dann gar keine Möglichkeit, jemals aus diesem Drama auszusteigen? Ich wäre keine gute Therapeutin, wenn ich nicht auch eine Lösung parat hätte, nicht wahr?

Also, Bindung war überlebenswichtig für uns als Baby und Kleinkind. Es gab keine alternativen Bindungspersonen, so mussten wir uns einlassen auf eine Person, die uns schmerzhafte, unzureichende und stressvolle Bindung angeboten hat. ABER – heute ist das nicht mehr der Fall. Heute haben wir die WAHL! Heute können wir einen toxischen Menschen verlassen, ohne dass wir untergehen, heute können wir einen neuen Lebensentwurf entwickeln, ohne dass wir dabei zu Grunde gehen. Heute können wir uns selbst versorgen. Wir liegen nicht mehr hilflos im Kinderbettchen und müssen warten, ob uns jemand ein Fläschchen und eine frische Windel bringt. ABER – genau dieses Gefühl überkommt uns, wenn wir uns vom Narzissten trennen wollen. Wir rutschen zurück in unser Kinder-ICH und fühlen uns hilflos, ausgeliefert und zutiefst einsam!

Das liegt, wie gesagt, daran, dass traumatische Erlebnisse, und eine Mutter, die uns als Kleinkind keine wirkliche Bindung anbieten konnte, ist ein traumatisches Erlebnis, für ein Wiedererleben sorgen, als wäre es JETZT: Unser Gehirn verzeitlicht Traumatisches nicht. Es holt die Inhalte zurück in unser Erleben, als würde es jetzt gerade stattfinden. Deshalb liegen wir hilflos im Bett, heulen uns die Augen aus, könnten schreien vor Schmerzen, haben oft keine Worte und sind quasi die personifizierte Verzweiflung. Das ist das Trauma, und nicht die Realität! Das ist das Trauma und nicht die Realität!

Die Lösung, bzw. Aufgabe liegt es also darin, das Trauma zu verzeitlichen. Es so aufzulösen, dass wir nicht mehr erstarren oder verzweifeln, sondern handlungsfähig bleiben. Dass wir die Trigger auflösen, die uns in traumatische Zustände katapultieren, in denen wir dann gefangen sind. Letztlich geht es also darum, auch in puncto Beziehung und Bindung in unserem Erwachsenenmodus anzukommen. Wenn dies gelungen ist, dann fällt urplötzlich aller Pomp und Glamour vom Narzissten ab. „Er ist plötzlich eklig“, sagen meine Klienten. Oder „Ich kann ihn keine Sekunde mehr ertragen!“ Wollen wir also unser Dilemma tatsächlich auflösen und aus der Abhängigkeit aussteigen, dann müssen wir uns, nach meiner Erfahrung, in diesen Prozess begeben. Wir reifen nach, wir holen das innere Kind ab, wir kommen nicht nur rational, sondern auch emotional aus diesen Zuständen tiefer Hilflosigkeit heraus, und zwar dauerhaft.

Es ist eins der wunderbarsten Erlebnisse, wenn die Menschen nach dem Prozess wahrhaftig frei sind. Und zwar nicht nur vom Narzissten, sondern von allen Menschen, die sie in Knechtschaft und Unterdrückung halten wollen! Dies ist meine Berufung und dies ist meine Leidenschaft! Dafür trete ich jeden Tag an – weil es sich lohnt!



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  • Danke für die hilfreiche Erklärung. Auf mich trifft das genau zu. Und somit erklärt sich auch mein Verhalten.
    Ich arbeite daran.

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